Deutschland ist trotz des Rückgangs der nationalen „Tugenden“ immer noch im Spiel

Diese Woche vor 25 Jahren übernachtete die deutsche Nationalmannschaft in einem Londoner Hotel zur Vorbereitung auf das Finale der Euro 96. Damals war das die Norm: Deutschland hatte das Finale der meisten Weltmeisterschaften und Europa seit 1972 erreicht.

Die Stimmung im Lager war ruhig. Die Spieler, die England im Halbfinale besiegt hatten, genossen es, in ihrem Mannschaftsbus die neue inoffizielle englische Hymne „Three Lions“ zu singen.

Ich habe eines Abends ein Bier an der Bar mit Teamoffiziellen und Camp-Anhängern getrunken, darunter Bert Trautmann, ein deutscher Kriegsgefangener, der Torhüter von Manchester City wurde. Am Ende stellte ich die große Frage: Warum hat Deutschland im Fußball immer gewonnen?

Die Beamten wirkten höflich, aber nicht zuvorkommend. Trautman hat noch mehr Nüsse gegessen. Sie haben die Frage nicht verstanden. Deutschland hat seit 1990 keine Meisterschaft mehr gewonnen. Nein, es lief nicht gut – die junge Generation wollte nicht arbeiten, und sie schimpfte. Ich habe es dort gelassen. Im Finale gegen die Tschechen am Sonntag im Wembley-Stadion wurde fast das gesamte Stadion verspottet, als Oliver Bierhoff den Siegtreffer für Deutschland erzielte.

Deutschland hat seitdem einen Untergang, eine Erneuerung und einen weiteren Niedergang erlebt. Sie sollten am Mittwoch in München Ungarn schlagen, um die zweite Runde der EM 2020 zu erreichen, aber ihre frühere Dominanz ist weg. Wo blieb das Team des letzten Vierteljahrhunderts?

Im Rückblick markierte 1996 das Ende der Ära der Nationalstile. Bis dahin verteidigten die Italiener, die Engländer spielten lange Bälle und die Deutschen hatten die Qualitäten, die der damalige Nationaltrainer Berti Vogts als „deutsche Tugenden“ bezeichnete: Kraft, Schnelligkeit, Ausdauer, Konzentration in den entscheidenden Momenten und ein Mittelstürmer punkten. Fußball sei eine hässliche Angewohnheit – die Deutschen „tanzen wie Kühlschränke“, beklagte Vogts später – aber sie schlachteten schöne Mannschaften ab.

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Die deutsche Nationalmannschaft feiert den Gewinn der EM 1996. Die Mannschaft hatte zuvor sechs Jahre lang keine Meisterschaft gewonnen © Diether Endlicher / AP

Doch 1996 wurden die Grenzen des europäischen Fußballs aufgelöst. Nach dem „Bosman-Urteil“ des Europäischen Gerichtshofs im Vorjahr konnte plötzlich jeder Spieler mit europäischem Pass überall auf dem Block spielen. Die nationalen Ligen wurden internationalisiert, und mit dem Ausbau der Champions League ahmten sich die besten europäischen Mannschaften nach. Nationale Muster verblassten. Andere Länder haben sich deutsche Tugenden angeeignet. Griechenland, angeführt vom deutschen Trainer Otto Rehhagel, gewann mit ihnen die Europameisterschaft 2004.

Damals begann die Suche nach Neuerfindungen im deutschen Fußball, angeführt von Bundestrainer Jürgen Klinsmann und seinem Nachfolger „Teamchef“, Joachim Löw. Sie haben sich das Beste aus den führenden Nationen ausgeliehen, und über ein Jahrzehnt bis 2006 spielte Deutschland häufig schönen Fußball. Als das Team die WM 2014 gewann, gab es niemanden, über den man spotten konnte.

Aber in dem Moment, in dem der Staat diesen Kelch hebt, beginnt die Dekadenz. Löw ist mit seinen dünnen Pullovern und langen schulterlangen Haaren immer eher ein Filmregisseur, der eine Vision verfolgt, als ein Fußballregisseur, der versucht, Spiele zu gewinnen. Er träumte davon, das Spiel neu zu gestalten, indem er beispielsweise den Torhüter in einen normalen Verteidiger mit Handschuhen verwandelte. Löw konzentrierte sich auf den Besitz von High-Tech-Fußball. „Ich wollte das auf die Spitze treiben, es perfektionieren. Ich war fast arrogant.“ später zugegeben.

Bei der WM 2018 fiel eine langsame Mannschaft ohne deutsche Tugenden in die Vorrunde. Inzwischen haben andere Länder wie Italien, Belgien und sogar England und Schottland ihre eigenen Missionen gestartet, um den neuesten Erkenntnissen des internationalen Fußballs Rechnung zu tragen.

Bundestrainer Joachim Löw, fünfter von rechts, im Gespräch mit Spielern in einem Trainingslager bei der EM 2020. Löw hat die von seinem Vorgänger Jürgen Klinsmann gestartete Mannschaft immer wieder neu erfunden © Christof Stache / AFP / Getty

Im vergangenen November verlor Deutschland mit 0:6 gegen Spanien und im März zu Hause mit 1:2 gegen Nordmazedonien. Als Deutschland nach der 0:1-Niederlage gegen Frankreich die EM startete, gab es nur sehr wenige Flaggen in den deutschen Fenstern.

Auch nach Portugals 4:2-Sieg am Samstag werden die Trikots der Nationalmannschaft immer noch zu Schnäppchenpreisen verkauft, und eine gewisse Sehnsucht nach deutschen Tugenden bleibt. Bierhoff, jetzt Generaldirektor des deutschen Fußballverbandes, sagte der Süddeutschen Zeitung, dass das Land Ball spielende Mittelfeldspieler überproduziere und es fehle an der Art von „Stier im Voraus“, die es selbst war.

Die beiden reinrassigen deutschen Mittelfeldspieler Toni Kroos und Ilkay Gündogan haben weder Kraft noch Schnelligkeit. Auf der anderen Seite gibt es nun eine rasante Dreier-Führung von Kai Havertz, Thomas Müller und Serge Gnabry, während die Entdeckung des Teams, niederländisch-deutscher Linkshälfte Robin Goossens, mit deutschen Tugenden wettmacht, was ihr an Anschluss fehlt.

Löw, der zehnte Trainer in Deutschland seit 1926, der die meisten Spiele betreut hat, tritt nach der EM zurück. Die unwiderstehliche Ähnlichkeit besteht mit der im September zurückgetretenen Bundeskanzlerin und Fußballfan Angela Merkel. Beide übernahmen 2005-2006 innerhalb weniger Monate die Macht. Beide werden niedrig, emotionslos und flüchtig beurteilt. wenn er sagt Dass die beiden sich kürzlich bei ihrem Gespräch einig waren, dass „nach einer so intensiven Zeit wahrscheinlich eine gewisse Leere über uns kommen wird“.

Trotz all ihrer Leistungen überlassen beide ihren Nachfolgern die Aufgabe der Erneuerung in einer sich schnell verändernden Welt. So wie Merkels Deutschland altert, lag Löws Durchschnittsalter in elf Spielen gegen Frankreich und Portugal bei etwa 29 Jahren, das höchste Durchschnittsalter aller deutschen Mannschaften im Turnier seit 2000.

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